Medizinisches Cannabis bei chronischen Schmerzen

Kann medizinisches Cannabis chronische Schmerzen lindern?

Etwa 12 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einem chronischen Schmerzsyndrom.¹ Viele von ihnen nehmen zahlreiche Medikamente ein und fühlen sich dadurch in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt. Für einige kann medizinisches Cannabis eine vielversprechende Option darstellen, um die Lebensqualität zu steigern und aktiver am Leben teilzunehmen.

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Letzte Änderung:

10.1.2025

Das Wichtigste in Kürze
  • Medizinisches Cannabis kann die Funktionalität im Alltag, die Schlafqualität und die Schmerzen von chronischen Schmerz-Patientinnen und -Patienten verbessern. 
  • Produkte mit hohem THC-Gehalt zeigen eine stärkere schmerzlindernde Wirkung, sind aber auch mit mehr Nebenwirkungen verbunden.
  • Es gibt Hinweise darauf, dass medizinisches Cannabis nicht die Schmerzen selbst zu lindern scheint, sondern die Schmerzwahrnehmung beeinflusst. 

Wann werden Schmerzen chronisch?

Schmerzen kennt jeder – seien es Kopfschmerzen bei einer Erkältung oder Rückenschmerzen nach einer langen Woche. Doch ab wann spricht man von chronischen Schmerzen?

Chronische Schmerzen gelten als eigenständiges Krankheitsbild, unabhängig von der ursprünglichen Ursache. Wenn die Schmerzen mindestens 6 Monate andauern und in kurzen Abständen immer wieder auftreten, spricht man von einem chronischen Schmerzsyndrom.

Chronische Schmerzen können verschiedene Ursachen haben. Dazu gehören anhaltende Schmerzen ohne ausreichende Therapie oder auch eine psychische Fixierung auf den Schmerz. Oft kann kein klarer Auslöser gefunden werden oder  verschiedene Ursachen spielen gleichzeitig eine Rolle. 

Chronische Schmerzen lassen sich in verschiedene Arten unterteilen, z. B.:

  • Psychogener Schmerz: ohne identifizierbare organische Ursache
  • Neuropathische Schmerzen: durch Nervenschäden verursacht
  • Myofasziale Schmerzen: Schmerzen des Bewegungsapparates
  • Tumorschmerzen

Chronische Schmerzen beeinträchtigen oft nicht nur das körperliche Wohlbefinden, sondern schränken auch das alltägliche, berufliche und soziale Leben ein. Häufig werden chronische Schmerzen von Depressionen, Ängsten oder Schlafstörungen begleitet.

Eine vollständige Heilung ist oft nicht möglich. Ziel vieler Therapien ist es, die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören:

  • Medikamentöse Langzeittherapien
  • Stimulationstechniken
  • Entspannungstechniken
  • Physio- und Psychotherapie

Im Durchschnitt dauert eine Schmerztherapie etwa 7 Jahre.1

Medizinisches Cannabis bei chronischen Schmerzen: Eine Therapieoption?

Medizinisches Cannabis könnte eine Therapieoption für Menschen mit chronischen Schmerzen sein. Der Grund: Cannabis beeinflusst das körpereigene Endocannabinoid-System, dessen Rezeptoren im ganzen Körper verteilt sind - im Gehirn, im Nervensystem, im Darm, in den Nieren, in der Haut und in den Knochen.

Dieses System spielt eine wichtige Rolle bei vielen Vorgängen im Körper, z. B. bei der Regulierung von Appetit, Schlaf und Stressreaktionen. Es kann auch das Schmerzempfinden und Entzündungen beeinflussen sowie die Muskelsteuerung und die Sinneswahrnehmung verbessern.

Durch die Aktivierung dieser Rezeptoren könnte medizinisches Cannabis bei einigen Menschen Schmerzen lindern.

Wie Cannabis bei chronischen Schmerzen wirken kann

Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021, in der 32 Studien mit insgesamt 5.174 Teilnehmenden untersucht wurden, zeigt, dass oral verabreichtes medizinisches Cannabis die Schmerzen, die Funktionsfähigkeit im Alltag und die Schlafqualität von Menschen mit chronischen Schmerzen leicht verbessern kann.

Es hatte jedoch keinen Einfluss auf emotionale oder soziale Funktionen und erhöhte leicht das Risiko für Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit und Konzentrationsprobleme.2 

Besonders wirksam scheint medizinisches Cannabis bei neuropathischen Schmerzen, also Nervenschmerzen, sowie bei medikamenteninduzierten Kopfschmerzen und chronischen, nicht krebsbedingten Schmerzen zu sein. Bei viszeralen Schmerzen – also Schmerzen, die von inneren Organen ausgehen – und bei Krebsschmerzen wirkte medizinisches Cannabis dagegen nicht besser als Placebo.3

Es gibt Hinweise darauf, dass Produkte mit hohem THC-Gehalt bei chronischen Schmerzen besonders wirksam sind, aber auch mehr Nebenwirkungen haben. Mischungen mit einem ausgewogenen Verhältnis von THC und CBD zeigen zwar eine geringere direkte Schmerzlinderung, können aber das allgemeine Wohlbefinden verbessern.4 

Interessanterweise scheint medizinisches Cannabis die Ursache des Schmerzes selbst nicht zu beseitigen. Vielmehr beeinflusst es die Schmerzwahrnehmung – die Patientinnen und Patienten empfinden den Schmerz als weniger belastend.5

Viele Menschen mit chronischen Schmerzen verwenden Opioide, um ihre Schmerzen zu lindern. Opioide haben jedoch oft unangenehme Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Schwäche oder Verdauungsprobleme. Eine erfolgreiche Behandlung mit medizinischem Cannabis könnte den Bedarf an Opioiden verringern und damit die Nebenwirkungen reduzieren.6

Individuelle Behandlung chronischer Schmerzen mit medizinischem Cannabis

Die Behandlung chronischer Schmerzen mit medizinischem Cannabis ist ein individueller Ansatz, der zur Kontrolle der Verträglichkeit der Therapie und der Verschreibung immer in Absprache mit einem Arzt oder einer Ärztin erfolgen sollte. Es ist wichtig, die richtige Therapie für die eigenen Bedürfnisse zu finden und alle Optionen zu besprechen. Außerdem kann medizinisches Cannabis mit anderen Medikamenten wechselwirken und unerwünschte Nebenwirkungen haben. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin entscheidend, um die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten.

Zusammenfassung

Menschen mit chronischen Schmerzen sind in ihrem Alltag oft stark eingeschränkt. Medizinisches Cannabis könnte ihnen helfen, den Gebrauch anderer Schmerzmittel zu reduzieren und wieder aktiver in ihrem Alltag zu sein.

Häufige Fragen

Medizinisches Cannabis scheint bei neuropathischen Schmerzen, Allodynie (erhöhte Schmerzempfindlichkeit auf normalerweise schmerzfreie Reize), medikamenteninduzierten Kopfschmerzen und chronischen Schmerzen, die nicht durch Krebs verursacht werden, wirksam zu sein.

Cannabis-Produkte mit einem hohen oder ausgewogenen Verhältnis von THC zu CBD zeigen die stärksten Effekte bei chronischen Schmerzen. CBD allein hat in der Regel keine signifikante Wirkung auf chronische Schmerzen.

Die Wirkung von medizinischem Cannabis hängt von der Darreichungsform ab. Bei der Inhalation tritt die Wirkung innerhalb von Sekunden bis Minuten ein und hält etwa 2 bis 3 Stunden an. Bei oraler Einnahme setzt die Wirkung nach 30 bis 120 Minuten ein und hält zwischen 4 und 8 Stunden an.

Bei der Behandlung chronischer Schmerzen ist eine lang anhaltende Wirkung wichtiger als ein schneller Wirkungseintritt. Daher sind vor allem orale Cannabis-Produkte geeignet. Inhalatives Cannabis kann bei akuten Schmerzspitzen eine Rolle spielen.

Die Kombination von medizinischem Cannabis mit anderen Schmerzmitteln sollte immer in Absprache mit einem Arzt oder einer Ärztin erfolgen, da es zu Wechselwirkungen kommen kann.

Quellenangaben

  1. 1Herausforderung Schmerz. (o. J.). Schmerzgesellschaft.de. Abgerufen 25. September 2024, von https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/herausforderung-schmerz
  2. DocCheck, M. B. (2011, November 4). Schmerzsyndrom. DocCheck Flexikon; DocCheck Community GmbH. https://flexikon.doccheck.com/de/Schmerzsyndrom
  3. BARMER. (o. J.). Cannabis: Wirkungen & Nebenwirkungen. Barmer.de. Abgerufen 25. September 2024, von https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/medizin/cannabis/wirkungen-nebenwirkungen-1132214
  4. 2Wang, L., Hong, P. J., May, C., Rehman, Y., Oparin, Y., Hong, C. J., Hong, B. Y., AminiLari, M., Gallo, L., Kaushal, A., Craigie, S., Couban, R. J., Kum, E., Shanthanna, H., Price, I., Upadhye, S., Ware, M. A., Campbell, F., Buchbinder, R., … Busse, J. W. (2021). Medical cannabis or cannabinoids for chronic non-cancer and cancer related pain: a systematic review and meta-analysis of randomised clinical trials. BMJ (Clinical Research Ed.), 374, n1034. https://doi.org/10.1136/bmj.n1034
  5. 3Pergolizzi, J. V., Jr, Lequang, J. A., Taylor, R., Jr, Raffa, R. B., Colucci, D., & NEMA Research Group. (2018). The role of cannabinoids in pain control: the good, the bad, and the ugly. Minerva Anestesiologica, 84(8), 955–969. https://doi.org/10.23736/S0375-9393.18.12287-5
  6. 4McDonagh, M. S., Morasco, B. J., Wagner, J., Ahmed, A. Y., Fu, R., Kansagara, D., & Chou, R. (2022). Cannabis-based products for chronic pain: A systematic review. Annals of Internal Medicine, 175(8), 1143–1153. https://doi.org/10.7326/m21-4520
  7. 5De Vita, M. J., Moskal, D., Maisto, S. A., & Ansell, E. B. (2018). Association of cannabinoid administration with experimental pain in healthy adults: A systematic review and meta-analysis. JAMA Psychiatry (Chicago, Ill.), 75(11), 1118–1127. https://doi.org/10.1001/jamapsychiatry.2018.2503
  8. 6Boehnke, K. F., Litinas, E., & Clauw, D. J. (2016). Medical cannabis use is associated with decreased opiate medication use in a retrospective cross-sectional survey of patients with chronic pain. The Journal of Pain: Official Journal of the American Pain Society, 17(6), 739–744. https://doi.org/10.1016/j.jpain.2016.03.002
  9. Opioide bei starken dauerhaften Schmerzen. (o. J.). Patienten-information.de. Abgerufen 25. September 2024, von https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/opioide