Medizinisches Cannabis bei Multipler Sklerose: Chancen für MS-Patientinnen und -Patienten?

Wirkung von medizinischem Cannabis auf Symptome von Multipler Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische, entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, von der weltweit viele Millionen Menschen betroffen sind. Trotz intensiver Forschung gibt es bis heute keine Heilung. Die derzeit verfügbaren Therapien konzentrieren sich darauf, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Symptome zu lindern. In diesem Zusammenhang wird auch der Einsatz von medizinischem Cannabis zur Behandlung von Multipler Sklerose erforscht.

Medizinisch geprüft durch
unser internes Medical Team

Letzte Änderung:

26.11.2024

Das Wichtigste in Kürze
  • Multiple Sklerose (MS) ist nicht heilbar; Behandlungen zielen darauf ab, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.
  • Cannabis-Produkte zeigen sich in ersten Studien als wirksam bei Spastiken und Schmerzen im Rahmen einer Multiplen Sklerose.
  • Die Verwendung von Cannabis-Arzneimitteln sollte nur nach Absprache mit einer erfahrenen Ärztin / einem erfahrenen Arzt erfolgen.

Was ist Multiple Sklerose und welche Symptome treten auf?

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die besonders junge Erwachsene betrifft. Frauen sind statistisch häufiger betroffen als Männer. Die Krankheit verläuft oft in Schüben und kann zu vielen verschiedenen Symptomen führen.

Obwohl die genauen Ursachen noch unbekannt sind, geht man davon aus, dass das Immunsystem die Nervenzellen angreift und so Entzündungen und Schäden im Nervensystem verursacht. Umweltfaktoren und genetische Veranlagungen spielen wahrscheinlich eine Rolle.

Häufige Symptome bei MS

  • Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppelbilder oder vorübergehender Sehverlust gehören oft zu den ersten Anzeichen der Krankheit.
  • Muskelschwäche und Spastiken: Ausgeprägte Muskelschwäche, häufig mit schmerzhaften Spastiken verbunden, kann die Bewegungsfähigkeit stark einschränken.
  • Gefühlsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln oder „Ameisenlaufen“ entstehen durch Störungen in der Übertragung von Nervenimpulsen.
  • Fatigue: Extreme Erschöpfung, die unabhängig von körperlicher Aktivität auftreten kann.
  • Störungen der Koordination und des Gleichgewichts: Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht oder der Koordination können zu Gangunsicherheit und Schwindel führen.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Gedächtnisprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten und / oder Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Informationen. 
  • Blasen- und Darmfunktionsstörungen: In schweren Fällen kann MS die Kontrolle über Blase und Darm beeinträchtigen und zu Inkontinenz und / oder Verstopfung führen.

Wie wird Multiple Sklerose klassisch therapiert?

Die klassische Therapie von Multipler Sklerose (MS) zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dabei unterscheidet man zwischen verschiedenen Ansätzen:

  • Schubtherapie: Bei akuten Schüben wird meist hochdosiertes Kortison verabreicht, um Entzündungen zu reduzieren und Symptome schnell zu lindern.
  • Verlaufstherapie: Zur langfristigen Kontrolle der MS werden immunmodulierende Medikamente (Arzneimittel, die das Immunsystem beeinflussen) eingesetzt, um Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
  • Symptomatische Therapie: Physiotherapie und Ergotherapie unterstützen die Beweglichkeit und die Alltagskompetenz. Spezifische Symptome wie Spastik oder Fatigue werden zusätzlich medikamentös behandelt.

Studien zur Wirkung von medizinischem Cannabis bei Multipler Sklerose

Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei Multipler Sklerose ist noch nicht umfassend erforscht. Erste Studien deuten darauf hin, dass Cannabinoide wie THC und CBD gegen Schmerzen und Spastiken bei MS helfen könnten.

  1. Studie von Jessica Rice et al. (2020)¹ 

Diese Umfrage unter MS-Betroffenen ergab, dass

  • 54 % Cannabis zur Linderung von Symptomen verwendeten.
  • 36 % es regelmäßig angewendet haben, davon 58 % täglich.
  • 26 % Cannabis parallel zu einer verschriebenen antispastischen Therapie eingesetzt haben.
  • 79 % von einer positiven Wirkung auf die Spastik berichtet haben.

Die befragten Personen haben hauptsächlich medizinische Cannabis-Produkte verwendet, die topisch (auf der Haut) angewendet oder oral eingenommen werden.

  1. Studie von Gustavsen S et al (2020)² 

In einer kleinen Studie mit 28 Patientinnen und Patienten, die mit THC- und CBD-haltigen Ölen behandelt wurden, zeigten sich folgende Verbesserungen:

  • Schmerzen gingen von 7 auf 4 Punkte zurück
  • Spastik sank von 6 auf 2,5 Punkte
  • Schlafstörungen verbesserten sich von 7 auf 3 Punkte 

Die Ergebnisse der Studie wurden mit der sogenannten Numerischen Rating-Skala (kurz NRS) gemessen, einer Schmerzskala, mit der Patientinnen und Patienten ihre subjektiv empfundenen Schmerzen auf einer Skala von 0 (keine Schmerzen) bis 10 (stärkste vorstellbare Schmerzen) einstufen können. 

Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Schläfrigkeit, Übelkeit und Schwindel wurden in geringem bis mäßigem Ausmaß berichtet.

Welche Nebenwirkungen treten bei medizinischem Cannabis gegen Multiple Sklerose auf?

In den bisherigen Studien wurde die Anwendung von medizinischen Cannabis-Produkten bei MS-Patientinnen und -Patienten in der Regel gut vertragen. Eine engmaschige ärztliche Überwachung bleibt jedoch unerlässlich, um das richtige Produkt in der passenden Dosierung zu verschreiben und schnell auf mögliche unerwünschte Wirkungen reagieren zu können. 

Häufig berichtete Nebenwirkungen3 waren: 

  • Schwindel
  • Mundtrockenheit
  • Durchfall
  • Konzentrationsstörungen

In einigen Fällen führte dies zum Abbruch der Behandlung.²

Forschungsergebnisse noch nicht umfassend

Aktuelle Studien liefern Hinweise auf die Wirksamkeit von CBD und THC, insbesondere bei der Behandlung von Spastik und Schmerzen bei MS. Nabiximols war das einzige Präparat, das Blasenfunktionsstörungen nachweislich positiv beeinflussen konnte. Da die Forschung zu diesem Thema noch in der Anfangsphase ist, sind die bisherigen Ergebnisse vorläufig und sollten mit Vorsicht interpretiert werden. Die Anwendung von medizinischem Cannabis sollte ohnehin immer unter enger ärztlicher Begleitung erfolgen, um mögliche Risiken zu minimieren und bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.

Zusammenfassung

Medizinisches Cannabis könnte bei MS-Patienten und -Patientinnen positive Effekte auf Spastik, Schmerzen und Schlafstörungen haben. Die bisher untersuchten Gruppen waren jedoch zu klein, um allgemeingültige Aussagen über die Wirksamkeit zu machen.

Das könnte Dich auch interessieren

Häufige Fragen

Nabiximols, eines der am häufigsten verwendeten medizinischen Cannabis-Produkte in Deutschland, könnte auch gegen MS-Symptome wirken. Studien weisen darauf hin, dass THC allein oder in Kombination mit CBD, wie es bei Nabiximols der Fall ist, bei der Behandlung von MS-Symptomen wie Spastiken und Schmerzen wirksam sein kann.

Aufgrund der begrenzten Studienlage gibt es keine allgemeingültigen Dosierungsempfehlungen. Es gilt jedoch der Grundsatz: „Start low, go slow“ - also mit einer niedrigen Dosis beginnen und diese langsam steigern. Die genaue Dosierung sollte in Absprache mit dem Arzt / der Ärztin individuell angepasst werden.

Sowohl CBD-THC-Kombinationen als auch THC-haltige Medikamente haben sich als wirksam erwiesen. In Deutschland werden häufig orale Sprays wie Nabiximols eingesetzt, die auch Symptome wie Blasenfunktionsstörungen positiv beeinflussen können.

Typische Nebenwirkungen sind Schwindel, Mundtrockenheit, Übelkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen und Erbrechen. Bei THC-haltigen Produkten sind die Nebenwirkungen in der Regel stärker als bei CBD-haltigen Produkten. Das Ausmaß der Nebenwirkungen hängt auch vom jeweiligen Cannabis-Präparat ab. In seltenen Fällen können Orientierungsstörungen oder Kreislaufprobleme auftreten.

Die Wirkung tritt je nach Verabreichungsform unterschiedlich schnell ein. Bei inhalativen Formen kann die Wirkung innerhalb weniger Minuten eintreten, bei oralen Produkten dauert es länger. Es ist wichtig zu beachten, dass Cannabis die Symptome lindern kann, aber keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat.

Die Wahl des richtigen Cannabis-Produktes sollte gemeinsam mit Deinem Arzt / Deiner Ärztin erfolgen. Deine Ärztin oder Dein Arzt wird Dich beraten, welches Produkt für Deine individuellen Bedürfnisse am besten geeignet ist.

Quellenangaben

1. ¹Jessica Reis et al. (2020) Cannabis use in people with multiple sclerosis and spasticity: A cross-sectional analysis https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32086163/

2. ²Gustavsen S et al. (2021). Safety and efficacy of low-dose medical cannabis oils in multiple sclerosis https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33387864/

3. 3Suzanne Nielsen et al. (2018). The Use of Cannabis and Cannabinoids in Treating Symptoms of Multiple Sclerosis: a Systematic Review of Reviews https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29442178/

5. No title. (o. J.). Amboss.com. Abgerufen 19. September 2024, von https://next.amboss.com/de/login?nextLink=%2Farticle%2FWR0PNf%3Fq%3Dmultiple%2Bsklerose&q=multiple+sklerose

6. Was ist MS? (2024, Juli 22). Dmsg.de. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/was-ist-ms